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Siona. Auswahl classischer Chorgesänge, Hft. 1: Fugetten und Fugen von Gottfried Heinrich Stölzel, erschienen bei Hans Georg Nägeli, Zürich [1832] Gleich nachdem wir die Ausgabe vor etwa einem Monate zur Beurtheilung erhielten, besorgen wir die Durchsicht ohne Zögerung und um so lieber, je angelegentlicher wir längst wünschten, daß Stölzel’s Name den Liebhaben des heiligen Gesanges wieder bekannter werden und seine Kunstweise von den Singvereinen von Neuem in’s Leben gerufen werden möchte. Es ist in den letzten Zeiten mancher tüchtige Mann unverdient vergessen und vom Drängen eines leichtfertigen Getändels (das wir übrigens zu seiner Stunde auch zu schätzen wissen) ganz in den dunklen Hintergrund geschoben worden. Während andere Nationen sich selbst es zur Ehre rechnen, ihre verdienten Männer bey jeder Gelegenheit vorzuführen, ja ihre Verdienst oft mit starken Uebertreibungen in ein künstlich verdoppeltes Licht zu stellen, lassen wir Viele unserer würdigen, ja zuweilen sogar Epoche machenden Männer in tiefer Nacht schlafen, als ob sie nicht gewesen wären. Das ist eine unserer Hauptsünden, eine Sünde wider den Geist, die gar nicht zu entschuldigen ist. Wenn soll endlich die Gleichgültigkeit gegen inländische Meister aufhören? Wir wollten, heute schon! Nur Gerechtigkeit übe der Teutsche an Teutschen: die stolze Uebertreibung mögen immerhin Andere mit den Ihrigen treiben: hier bleibe sie fremd. Aber lebendigere Würdigung einer rechtschaffenen, unbefangenen Gesinnung, die fordern wir für unsere rühmlichen Entschlafenen, für unsere Landsleute von unseren Landsleuten. G. H. Stölzel gehört auch zu ihnen. Er wurde im sächsischen Erzgebirge 1690 geboren und starb als Kapellmeister zu Gotha 1749. Viel Anziehendes können wir aus dem Leben und Wirken dieses geehrten Mannes in’s Gedächtnis rufen: es mag aber für jetzt genug seyn, ihn als einen der trefflichsten Contrapunctisten zu bezeichnen, die jene eben in diesem Fache ausgezeichnete Zeit besass. Sein fließender Gesang bey aller Kunst einer herrlichen Stimmführung erhebt ihn sogar über manchen zufällig bekannter gebliebene Namen. Man bediene sich der oben genannten Sammlung und jede Nummer von den zwanzig wird ein Beweis dessen seyn, was wir von ihm gerühmt haben. Nur drey Druckfehler sind uns zu Gesicht gekommen, die man vor dem Gebrauche verbessern mag (nämlich in der Partitur-Ausgabe; die Stimmen haben wir nicht geprüft), S. 7 im sechsten Tacte der ersten Klavierklammer; S. 46 in der zweyten fehlt im zweyten Viertel des ersten Tactes der rechten Hand das # vor f – und S. 60 muss im dritten Tacte des Tenors das zweyte Viertel c1 in d1 verwandelt werden. Die einzelnen Stimmen sind in beliebiger Anzahl der Bogen zu 5 Gr. zu haben.
Stöltzel
(ex autogr.) Gottfried Heinrich Stöltzel ist einer von den vernünfftigen, gelehrten und grossen Tonmeistern, die sich keine Schwierigkeit machen, ihren guten Lebenslauff, mit aller Wahrheit und Bescheidenheit, selbst zu beschreiben. Und weil wir die Ehre haben, dessen eigene Handschrifft zu besitzen, worin er alles, ohne Uberfluß und ohne Mangel, sehr geschickt und unverbesserlich vorgetragen hat, was ihm erstlich biß 1719. und hernach biß 1739 aufgestossen ist, wie könnte man denn gescheuter thun, als seine eigne Worte brauchen? daraus die andersgesinnte (ich rede mit den wenigen Grossen vorzüglich) ein gutes Beispiel zur Nachfolge nehmen, und sich ferner nicht so unzeitiger Weise zu spreutzen und zu zieren lernen können. Die Kleinen werden von den Grossen gewarnet. „Ich bin Ao. 1690. den 13. Jan. durch GOttes Gnade, zu Grünstädel, im Chur=Sächsischen Ertzgebürgischen Kreise belegen, gebohren. Mein seeliger Vater, der sich, in Hofnung, so wie seiner Eltern ziemliches Vermögen, also auch ihr Glück im Bergwercke zu ererben, gefallen lassen, an solchem Orte, als Organist, sitzen zu bleiben, war ein Scholar des ehemaligen Fürstl. Sächsischen Hoforganistens zu Halle, Moritz Edelmann, und hielte mich, der ungemeinen Liebe nach, so er zur Musik trug, schon in meiner zartesten Jugend so wohl zum Singen, als Clavierspielen fleißig an. Er übergab mich hiernächst einem Studioso Theologiä zur Information im Christenthum und litteris humanioribus. Ungefehr im dreizehnten Jahr meines Alters that man mich auf das Lyceum nach Schneeberg, und ich hatte daselbst zu meinem Hospite und Informatore in Musicis den Cantorem, Christian Umblaufft, einen Kuhnauischen Scholaren. Dieser fromme, fleißige und redliche Mann brachte mich zu einer gründlichen Fertigkeit im General=Baß. zugleich auch in Zusammensetzung des Concents. Doch wurde, zu meinem Glücke, dieses letztere nur soweit getrieben, daß mir Raum blieb, durch das schwartze Notengewölcke ungehindert nach der Sonne der Melodie blicken zu können. Nach Verlauf etlicher Jahre wurde ich auf das gräfliche Reus=Plauische gemeinschaftliche Gymnasium nach Gera gebracht. Woselbst mir, ratione des gräflichen Hofes, ein weit besserer Geschmack, als ich bisher gewohnt war, in die Sinne fiel. Ich fand nehmlich in den Sätzen des dasigen Capelldirectors, Emanuel Kegel, etwas, das mich antrieb, eine Gedancken auf solchen Schlag einzurichten; welches auch dahin gediehe, daß ich nach etlichen Jahren, in Gegenwart hochgräflicher Herrschafft, im Gymnasio, als ein Gymnasiast, etliche mahl öffentliche Musiken aufzuführen Gelegenheit erhielt. Dieses war schon genug, nach Beschaffenheit meiner Jahre und Umstände, mich zu grösserm Fleiß aufzumuntern, wenn ich nicht von denen, die mir weisen sollten, was gut sey, fast mit Gewalt von der Musik wäre abgetrieben worden: vielleicht in der wunderlichen Meinung, es sey die rechte Musik schon lange, wo \\ nicht mit dem Orpheus zerrissen, doch mit dem Pythagoras verbrannt. Gleich als wären das Gehör, der Klang, der Rhythmus, die Gemüthsbewegung etc. mit zerrissen, verbrannt, und nicht mehr in der Natur vorhanden. Dennoch aber unterließ ich nicht, mich so viel wie möglich darin zu üben, und dabey der Poesie und Oratorie fleißig obzuliegen. An. 1707. zog ich auf die Universität Leipzig: fand daselbst Gelegenheit genug, Sachen von den berühmtesten deutschen Melothetis zu sehen, und bei einer sehr guten Aufführung zu hören. Dieses war die Zeit, wo das eine Weile verschlossene Opern=Theatrum wieder eröffnet wurde: dahero versäumte ich keine Gelegenheit, solches zu besuchen. Hier lernte ich, weil ich öffters empfindlich gerühret wurde, mich desto leichter, wie und wenn ich wollte, selbst zu bewegen. Sonderlich feurete mich zu mehrern Musikfleiß an, daß der seel, Melchior Hofmann so damahls in der neuen Kirche das Directorium führte, viele von ihm mir zu setzen gegebene Stücke, unter seinem eignen Nahmen darlegte, und mir auch jederzeit mit gutem Rath an die Hand ging, biß ich mich, ohne Maske, so wohl im Collegio musico, als bey den andern Vorfällen, ob wohl kurtz vor meiner Abreise, sehen ließ. Von hier aus richtete ich meinen Weg nach Schlesien, und hatte zu Breslau das Glück, über zwey Jahre in den vornehmsten, gräflichen und adelichen Häusern im Singen und auf dem Clavier zu informiren. Mittlerweile führte ich verschiedene öffentliche Musiken auf, sonderlich eine Serenate auf die Krönung Uhro Römisch=Kaiserl. und Cathol. Maj. Carls VI. nebst vielerley Instrumentalsachen, auch eine dramatische Arbeit, der Narcissus genannt, von meiner eigenen Poesie. Das geschah im breslauischen Collegio musico. Hierauf ging ich wieder zurück nach Halle, woselbst eben der berühmte Capellmeister Theile sich aufhielt, und mir die Composition einer Oper, so den Titel Valeria führte, um solche in den nächsten Naumburger Messe vorzustellen, auftrug. Als dieses geschehen, verfertigte ich in eben demselben Jahre, nehmlich 1712., auf hochgräfl. gnädigen Befehl, ein Pastoral zu Gera, welches Rosen und Dornen der Liebe betitelt war. Folgendes Jahr wurden abermahl zwo Opern von meiner Musik und Poesie zu Naumburg aufgeführet; und am Ende des Jahres that ich eine Reise nach Italien: wo ich mich vornehmlich zu Venedig, Florentz und Rom, in allen aber ein Jahr und etliche Monath, aufhielt. In diesem musikalischen Lande, wo eine natürliche Neigung zur Musik, bey einer ungemeinen Hochachtung ihrer Beflissenen, welche mit immerwährender \\ Aufmunterung und reicher Belohnung verbunden ist, viele Liebhaber und Kenner hervorbringet, so daß auch, unter tausend alltägigen, ein eintziger neuer und guter Gedancke vermögend ist, alles angenehm und rühmenswürdig zu machen, habe mehr nicht, als eine öffentliche Musik, und zwar zu Florentz in einem Garten, bey Anwesenheit vieler Standespersonen und fast aller Tonkünstler dieser Stadt, von zwo Stimmen und einem Chor Instrumenten aufgeführet; sonst aber meine Sorge dahin gerichtet, mit den berühmtesten Musikmeistern bekannt zu werden, und keine Gelegenheit zu versäumen, wo etwas zu hören war. Gestalten ich zu Venedig des mir sehr nützlichen Umgangs des nunmehro seel. Capellmeisters Heinichen zu geniessen, ingleichen den ältern Polaroli, Vivaldi und andre; zu Florentz sonderlich den Francesco Gasparini, welcher daselbst bey einer von ihm gesetzten Oper zugegen war, den Martinello Bitti, die beiden Palafuti; in Rom den Antonio Boboncini und Alessandro Scarlatti den jüngern, kennen zu lernen, das Glück hatte. Auf meiner Rückreise erhielt ich zu Inspruck die Gande am damahligen Hochfürstlichen Hofe Seiner nunmehro Churfürstl. Durchl. zur Pfalz, dero Nahmens=Fest bey der Tafel mit einem italiänischen Duett von meiner Arbeit, welches Signora Eleonora de Scio und Signora Eleonora Borosini absangen, unterthänigst zu begehen. So dann reisete ich über Lintz nach Praag, und hielt mich fast in die drey Jahr daselbst auf. Unter den dasigen Musikliebenden muß billig den Hrn. Anton von Adlersfeld obenansetzen, als in dessen Hause ich die gantze Zeit über mit aller Lust mich aufzuhalten die Ehre hatte. Hiernächst wurde mir das Glück zu Theil, mit dem nunmehro hochseel. Grafen Logi wöchentlich viele Stunden, ja, gantze Tage in lauter Musik zuzubringen, auch öffters den Freiherrn Hartig auf dem Clavier zu hören. Sonst habe ich in Praage unterschiedene dramatische Dinge, als Venus und Adonis, Acis und Galathea, das durch die Liebe besiegte Glück etc. von meiner Poesie, ingleichen etliche deutsche, lateinische und italiänische Kirchen=Oratorien, als die büssende Sünderinn Maria Magdalena, JEsum patientem, und Caino, overo il primo figlio malvaggio von meiner Composition, auch etliche Missen, nebst sehr vielen Instrumentalsachen, verfertiget und aufgeführet. \\ Das lutherische zweite Jubel=Fest ruffte mich von Praag ab, und ich feirete es am hochfürstl. bayreuthischen Hofe, woselbst ich der Zeit die Kirchen=musik machte, und kurtz darauf an einem fürstlichen Geburths=Tage auch eine Serenate aufführte. Ao. 1718. wurde ich von Ihro Hochgräfl. Gnaden zu Gera zum Capellmeister berufen, und eben dieses Jahr führte ich eine Oper Diomedes genannt, von meiner Arbeit, zu Bayreuth auf. Folgendes Jahr kam ich als Capellmeister in hochfürstl. Sächsisch-gothaische Dienste, woselbst ich bisher, unter geseegneter Regierung Ihro Hochfürstl. Durchl. Hrn. Friederichs II., vergnügt lebe. Ich halte für überflüßig, alles zu verzeichnen, was binnen solcher Zeit verfertiget oder aufgeführet; nur kann unberührt nicht lassen, daß zweimahl die Gnade gehabt, an dem hohen Nahmens=Feste Ihrer Hochfürstl. Durchl., meines gnädigsten Fürstens und Herrn, Ihnen so wohl Vocal= als Instrumental=Musik, von den hiesigen Hochfürstl. Durchl. Printzen und etlichen Cavalieren, zu bringen. Meine Besoldung beläufft sich in Gotha überhaupt auf 700 Rfl. und den Rang habe ich mit den fürstlichen Secretariis. [Fortsetzung, in
Form eines Briefes, vom 7. Dec. 1739] p. p. Wegen des weitern Fortganges meines Lebenslaufes, dienet Ew. Hochedl. zur gehorsamsten Nachricht, daß, ob ich gleich Ao. 1732. am 23. Märtz den hohen Todesfall des weyland Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedrichs des Andern, meines ehmahligen gnädigsten Fürstens und Herrn, erleben müssen; mir jedennoch GOtt, in der Gnade des Durchlauchtigsten Friedrichs des Dritten, meines itzigen gnädigsten Fürstens und Herrn, was ich verlohren, wiederum ersetzet hat: indem Seine Hochfürstl. Durchl. mich nicht allein mit der vorigen Bedienung, sondern auch dem dabey vermachten Gehalt und Range auf neue begnadiget. Sollten Ew. Hoch=Edl. etwa den Zustand meiner Familie zu wissen verlangen, so berichte hiedurch gehorsamst, daß ich mich am 25. May 1719. noch in Gera verheirathet, mit der damahligen Jfr. Christiana Dorothea, des seel. Herrn M. Johann Knauers, Diaconi Sen. zu Schleitz, ältesten Tochter, von der mir GOtt neun Söhne nach einander, und endlich eine Tochter gegeben: wovon aber 3. Söhne bereits verstorben, und also noch 6. davon, samt der Tochter am Leben sind. Ew. Hoch=Edl. können also leicht erachten, wie deren \\ Auferziehung und anderwertige Besorgung mir einen guten Theil meiner Lebenszeit koste, und wie meine andern Haus=Umstände beschaffen seyn können. Die gantze Zeit, welche mir die Ausfertigung meiner ordentlichen musikalischen Berufsarbeit, womit die poetische jederzeit verbunden ist, zulässet, habe auf Lesung musikalischer, und andrer dahin einschlagenden Schrifften, als worin einen sonderlich Ew. Hoch=Edl. gelehrte Feder zu führen geschickt ist, mit vielem Vergnügen gewendet. Ich statte Ihnen denn hiedurch, für Ihren unermüdeten Fleiß, gebührenden Danck ab, und bin völlig überzeuget, daß an Ew. Hoch=Edl. die Musik dasjenige gefunden habe, was Zarlin am Ende des dritten Theils seiner Institut harmon. und aus ihm Doni, auch gegen das Ende seiner Gespräche de Mus. vet. praestant, wie nicht weniger Steffani, in seinem Sendschreiben gewünschet. Womit mich zu dero beharrlichen Wohlwollen gehorsamst empfehle, und mit aller Devotion ersterbe etc.
Der andere ist der weiland Hochedle Herr Gottfried Heinrich Stölzel Hochfürstl. Sächsich-Gotahischer Capellmeister. Er war gebohren den 13. Jenner im Jahre 1690, zu Grünstädtel im Chursächsischen Erzgebürge. Sein Vater Heinrich war Organiste daselbst und ein Schüler des Hoforganisten zu Halle, Moritz Edelmann, die Mutter hieß Anna Catharina eine gebohrne Langin. Seine Eltern gaben ihn bey Zeiten einen [sic!] Beflissenen der Gottesgelahrtheit, Nahmens Wiedtmann, zur Unterweisung, welche er bis ins dreyzehnte Jahr nicht ohne Frucht genossen. Hernach schickte man ihn auf die Schule zu Schneeberg, allwo er nebst dem öffentlichen Unterricht anderer Schullehrer, den dasigen Cantor Christian Umlauft, einen Schüler des berühmten Kuhnau zu Leipzig, zum Hauswirth und Lehrer in der Music erhielt. Dieser redliche Mann brachte ihn zu einer gründlichen Fertigkeit im Generalbaß, zugleich auch in Zusammensetzung des Concerts. Nach etlichen Jahren kam er auf das Gymnasium nach Gera, wo er sich die Handleitung des damaligen Kapelldirectors, Emanuel Kegels, so vie möglich zu Nutze machten, und erhielte so gar nach der Zeit Gelegenheit in der Stadt Gera, im Gymnasio, wie auch bey dem Gräfl. Hofe Musiken aufzuführen, wodurch seine Liebe zur Tonkunst so sehr angefeuret, als von einigen wunderlichen Köpfen erstickt zu werden gesucht wurde, welche bey aller Gelegenheit nach der
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gemeinen Art ihren Schülern einzuschärfen pflegen, daß die Musik von den gottlosen Nachkömmlingen Cains herkomme, und also als eine Schlange zu fliehen wäre. Es freuete ihn aber, als er den berühmten Urheber dieser Gedanken, Hr. Rect. Hübner, in Leipzig zu kennen, ia [sic!] auf seinen Geburtstag in dem Hause seines Schwiegervaters eine Musik aufzuführen Gelegenheit hatte, und ihn von dieser Sache weit gelinder reden hörte. Er war siebzehn Jahr alt, als er im Jahr 1707 die Academie Leipzig bezog, woselbst er die Telemannische und Hofmannische Feder bewunderte. Der Hr. Capellmeister Telemann stund damals schon zu Sorau in Gräfl. Prommnitzischen Diensten, und der Herr Hofmann bekam nach ihm das Directorium in der neuen Kirche. Er gestunde, daß unter allen musikalischen Stücken, so er damals hören konnte, die Telemannischen ihm am meisten nach dem Herzen gegriffen. Die Leipziger Opernbühne, welche zu dieser Zeit nach dem Tode des Capellmeisters Strunks von neuem aufgienge, verschafte [sic!] ihm das Vergnügen auf derselben viele Opern der besten Meister bey einer recht guten Aufführung zu hören. Ueberhaupt fande er damals Gelegenheit in Leipzig sein Naturell zu üben, worzu die Beyhülfe, so er Hrn. Melchior Hofmann im Setzen geleistet, nicht wenig beygetragen, welcher ihm mit gutem Rath an die Hand ging, auch die von ihm gesetzten Stücke unter seinem eigenen Nahmen darlegte, biß er sich ohne Maske, sowohl im Collegio Musico, als bey an-
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dern Vorfällen, kurz für seiner Abreise sehen ließ. Nachdem er bey nahe drey Jahr in Leipzig zugebracht, ging er nach Schlesien, und hielt sich eben so viel Jahre zu Breslau auf, wo er die Gräfinnen Neidhardt, Burkhauß, Nimsh, Leczynski, Collowrat, die Baronessen Haak, Lilienthal, von Schweinigin im Singen und Spielen zu unterrichten die Ehre gehabt. Unter vielen Ouverturen, Concerten und andern musikalischen Stücken, welche er in dem dasigen musikal. Collegio öffentlich aufgeführet, erschiene auch eine Serenate von seiner poetisch und harmionischen Arbeit, auf das Krönungsfest des Kaysers Carls des VI, nebst einem dramatischen Gedicht, Narcissus genannt, welches der Gräfin von Neidhardt zugeschrieben und im obengedachten Collegio aufgeführte wurde. Ein Italienischer Sprachmeister, welchen er zu Breslau zum guten Freund hatte, setzte ihm durch viele schmeichelhafte Erzählungen von den Anmuthigkeiten Italiens, die Gedanken in den Kopf, eine Reise dahin zu thun. Er bediente sich dahero seines Glückes zu Breslau die hierzu nöthigen Reisekosten auf eine anständige Art zu erwerben, und ging, um sich von den Seinigen zu beurlauben, vorhero nach Sachsen zurücke, wo ihm der damals in Halle sich aufhaltende Capellmeister Theile, die Composition der Oper Valeria auftrug, um in der nächsten Naumburger Messe auf dem dasigen Hochfürstl. Theatro vorgestellet zu werden. Als dieses geschehen, folgeten noch zwey Opern, die Artemisia, und der Orion, in der
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folgenden Messe, gleichfalls von seiner Musik und Poesie. Er besuchte auch den Hof zu Gera, wo er in kurzen darauf, ein Pastorale, die Rosen und Dornen der Liebe, nebst vielen sowohl Kirchen als Tafelmusiken aufführte. Er hatte damals das Glück, daß ihm zu gleicher Zeit am Gräfl. Hof zu Gera und am Fürstl. Hof zu Zeitz Dienste als Capellmeister angetragen wurden. Der Ausschlag dieser angebotenen Dienste wegen der fest vorgesetzten Reise nach Italien brachten ihm einen beträchtlichen Zuwachs zu seinen Reisekosten zu wege. Er trat daher zu Ende des 1713. Jahrs würklich die Reise dahin an, und ginge von Gera über Hof, Bayreuth, Nürnberg auf Augspurg zu, woselbst eben der Reichstag gehalten wurde, und er das Glück hatte, durch die Musik sich viele vornehmen Gönner zu erwerben. Die in Böhmen, Wien und zu Regenspurg wütende Pest versperrte ihm durch die Guarantaine [sic!] den sehnlichen Eingang in den Garten der Welt, oder das lustige Italien, als welche er an den Venetianischen Grenzen in dem Lazaret zu Premolano erstlich acht Tage allein, und hernach, weil der von Berlin ankommende Hr. Simonetti bey seinem Eintritt ins Lazaret ihm aus Spaß den Handschuh zugeworfen, noch andere sieben Wochen mit ihm aushalten muste. Von dort ging er nach Venedig, und fande den nachherigen Königl. Polnischen Capellmeister HerrnHeinichen daselbst, dessen Anleitung er sich bediente, so lange er sich zu Venedig aufgehalten, welches sich biß in den Julium des folgenden Jahrs [d.h. 1714] ver-
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zoge. Er besuchte in dessen Gesellschaft wöchentlich die Venetianischen Hospitäler alla pieta, all’incurabili, alli mendicanti, und all’hospitaletto, allwo die beste Musik, auser [sic!] der Carnevalszeit auf den Schauplätzen, und der gewöhnlichen Kirchen- und Klostermusik, in Venedig zu hören ist. Zur selben Zeit waren in gedachten Hospitälern folgende Tonkünstler, alla pieta: Hr. Casparini, Concertmeister Hr. Vivaldi. all’incurabili: Hr. Carlo Antonio Pallaroli, alli mendicanti: Hr. Antonio Biffi, all’hospitaletto: il Cavalier Vinaccesi, wovon er sonderlich die drey ersten zu kennen die Ehre gehabt. Durch Vermittlung des berühmten Allessandro Marcello, hat er vielmal der Musik der Ventianischen Edelleute in dem Pallast alli fondamenti novi beygewohnet. Von Venedig kam er nach Florenz, wo er Gelegenheit hatte in des Herzogs Salviati Pallast geführt zu werden, und mit Hr. Ludewigs, einem Deutschen von Berlin und dessen Frauen Signora Maddalena, einer grosen Ventianischen Virtuosin auf der Theorbe, bekannt zu werden. Er hatte das Glück den folgenden Tag durch Vermittlung des Herzogs Salviati bey Ihro Durchlaucht der Princeßin Eleonora von Guastalla Audienz zu bekommen, und die ganze Zeit seines Aufenthalts biß zu seiner Abreiche nach Rom vom Hofe ausgelöset zu werden. Hier hatte er Gelegenheit mit allen Virtuosen in Florenz umzugehen, und sich zur Gnüge in seiner Wissenschaft zu üben. Er war fast alle Tage bey Ihro Durchlaucht mit der Musik be-
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schäftiget, wobey die Princeßin iedesmal die Arciliuto (d.i. eine Laute, oder Erzlaute) und ihr Lehrmeister Hr. Balfuti die Theorbe spielten, Hr. Prete Gambarucci aber den Tenor sang. Auser den Cantaten welche er hier verfertiget in ziemlicher Anzahl, hat er nicht mehr denn ein groses Duett, welches Hr. Tempesti in Contra Alt und Signora Goslar in Diskant abgesungen in einem Garten in Gegenwart des meisten Adels aufgeführet, wobey die sämtlichen Florentinischen Virtuosen mit ihren Instrumenten zugegen waren und sich hören liessen. Er hätte an diesem Orte sein zeitliches Glück ohne Schwürigkeit finden können, wenn ihm die Religion, wozu man ihn gar öfters mit vielen Schmeicheleyen bereden wollte, nicht im Wege gestanden. Im September trat er seine Reise nach Rom mit einem Empfehlungsschreiben an, wo er nicht nur die Alterthümer dieser Stadt in Augenschein nahm, sondern auch so viel möglich mit den Musikverständigen sich bekannt machte. Herr Krehbeckel damaliger Kayserl. Legations-Secretarius gab ihm Gelegenheit den Hrn. Bononcini kennen zu lernen, der zu Zeiten des Kaysers Josephs in Wien als Capellmeister gelebet, er fande auch unterschiedene hörenswürdige Sänger und Sängerinnen, worunter der Hr. Gegho am meisten im Ruffe war. Nachdem er in Rom einen Monat und etwas drüber sich aufgehalten ging er nach Florenz zurück, wo er zur Zeit des Carnevals unterschiedliche wohl ausgearbeitete Opern von Casparini Orlandini und andern guten Mei-
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stern hörte. Auf Kosten des Florentinischen Hofes that er eine Reise nach Pisa und Livorno, und kam, nachdem er alles Merkwürdige gesehen, nach Florenz zurück, wo Hr. Simonettei, so unterdessen von Venedig eine Reise nach Lissabon gethan, wieder angekommen, und mit welchem er über Bologna, Venedig und Trient nach Inspruck gereiset, und daselbst eine geraume Zeit stille gelegen. Hier kam er in Bekanntschaft der sämtlichen Hofcapelle Sr. Durchlaucht des Prinzen Carl Philipps von Pfalz, und hatte die Gnade an dessen Nahmenstag bey der Hochfürstl. Tafel mit einem Duett aufzuwarten, welches Signora Eleonora de Scio und Signora Eleonora Barosini absangen, ein Italienischer Abt aber spielte den Violoncell dazu, und er selber accompagnirte. Nach der Tafel erhielt er Audienz und viele Gnadenbezeugungen. In dem Hause des Herrn Concertmeisters Wielands, wo er mit seinem Reisegefehrden wohnte, war täglich die ganze Music beysammen, der treffliche Violinist Hr. Forstmeyer und Herr Hofer aus Wien. Von Inspruck thaten sie durch Bayern auf dem Inn- und Donaustrom die angenehmste Reise von der Welt nach Lintz, wo sie sich nur einige Tage aufhielten, solche Zeit aber unter lauter Musik zubrachten, weil sie daselbst die grösten Musikliebhaber von der Welt antrafen, von Lintz aber ging es über Budweiß auf der Mulda nach Prag, woselbst er sich drey ganzer Jahre aufgehalten. Hier fande er abermals einen grosen Musikfreund an dem Hrn. Anton von
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Adlersfeld, welcher ihn biß zu seiner Abreise in seinem Hause auf das beste bewirthet, anderer vornehmer Musikpatronen, welche daselbst in Menge anzutreffen, zu geschweigen. Mit dem Grafen Logi und Hrn. von Adlersfeld, brachte er so zu sagen ganze Tage und Nächte in lauter Music zu, wobey der überaus geschickte Herr Baron von Hartig öfters zugegen war, unter dessen Aufsicht die damalige musikalische Pragerische Academie blühete, bey welcher der seel. fast wöchentlich mit etwas von seiner Arbeit erschienen. Sonst hat er in Prag unterschiedene dramatische Dinge, als Venus und Adonis, Acis und Galathea, das durch die Liebe besiegte Glück, etc. von seiner Poesie, ingl. etliche Deutsche, Lateinische und Italienische Kirchenoratorien, als die büsende Sünderin Maria Magdalena, Jesum patientem, und Caino, overo il primo figlio malvaggio, von seiner Composition, auch etliche Missen, nebst vielen Instrumentalsachen verfertiget und aufgeführt. Eine Serenate, welche er bey Vermählung des Hrn. Grafens Trautmannsdorf in dem Hause des Hrn. von Adlersfeld aufführete, in Gegenwart des sämtlichen hohen Adels, hatte das Glück allen so zu gefallen, daß er von der ganzen Gesellschaft ersuchet wurde dergleichen noch mehr zu verfertigen, und der Stadtcommandant Graf von Guttenberg that ihm in Gegenwart aller den Vorschlag ins künftige bey seinen Musiken Billette zu gebrauchen, zu welchem Ende er iederzeit eine Mannschafft Soldaten erhalten sollte. Der Erfolg dieses würkte
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so viel, daß er auch den geringsten, so er in solchen Musiken gebrauchet, niemals ohne einige Beschenkung weggehen lassen durfte, auch keinen Mangel an Virtuosen hatte, sondern die besten Leute so wohl aus den gräflichen Capellen als Klöstern bekam. Durch Vermittlung seiner Gönner zu Prag erhielt er zu dieser Zeit von dem Königl. Polnischen Capellmeister Schmidt einen Beruff nach Dreßden, wobey unter andern ansehnlichen Versprechungen auch diese befindlich, daß Ihro Königl. Maiestät ihn noch eine Reise nach Frankreich thun zu lassen entschlossen wären. Allein seine Stunde war damals noch nicht kommen, wie der seel. glaubte, oder vielmehr, die Umstände verhinderten solches. Das zweyte Lutherische Jubelfest ruffte ihn von Prag nach Bayreuth, wohin er verschrieben wurde, die Kirchenmusik zu verfertigen. Auf diese folgte eine große Serenate von seiner Arbeit auf des Herrn Marggrafen Georg Wilhelm Hochfürstl. Durchlaucht Geburtstag, denn das Jahr darauf die Oper Diomedes, wornach noch eine grose Serenate auf den Geburtstag höchstgedachen Herrn Marggrafens das folgende Jahr erschiene. Im Jahr 1719 trat er an den Gräfl. Hof zu Gera auf einige Zeit Dienste an, wo er aber kaum ein halbes Jahr verblieben, und mittlerzeit verschiedene Musiken verfertiget. Denn zu Ende dieses Jahrs wurde er in Hochfürstl. Sächsische Gothaische Dienste berufen, wo er seine erste Musik an dem hohen Kirchgang der Durchlauchtigsten hochseel. Frau Herzogin mit Ihro Königl.
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Hoheit der ietzigen Princeßin von Wallis, aufgeführet. Uebrigens hat der seel. Hr. Capellmeister Stölzel zweyen Herzogen von Sachsen-Gotha, Friedrich II. und Friedrich III. mit vielem Vergnügen gedienet, 30 Jahr lang. Es ist leicht zu erachten, daß er in dieser Zeit eine Menge von poetischen und harmonischen Werken verfertiget, nemlich acht doppel Jahrgänge, ohngefehr vierzehn Paßions und Weihnachts Oratorien, vierzehn Operetten, sechzehn Serenaten, etliche und achtzig Tafelmusiken, und fast eben so viel ausserordentliche Kirchenstücke auf hohe Geburstäge, Landtäge etc. darzu er die Poesien meistentheils selbsten entworfen, der Menge von Missen, Ouverturen, Sinfonien, Concerten und dergleichen, die er aufgeführt, nicht zu gedenken. Der seel. Herr Capellmeister Stölzel hat auch einige theoretische Werke von der Musik aufgesetzet, die er aber nicht ins reine gebracht. Seine von musikalischer Berufsarbeit übrigen Stunden wendete er auf Lesung musikalischer und anderer dahin einschlagenden Schriften, und war sonderlich der Mizlerischen und Matthesonischen Schriften ein genauer Kenner und Leser. Seinen Ehestand betreffend, hat er sich im Jahr 1719, da er noch in Gera war, mit Jgfr.Christiana Dorothea Knauerin, Hrn. M.. Joh. Knauers Diac. Sen. zu Schleitz ältesten Tochter den 25ten May verheyrathet, und aus solcher Ehe neun Söhne und endlich eine Tochter bekommen, von welchen drey Söhne wieder verstorben, sechs aber,
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nebst der Tochter, noch am Leben sind. Der älteste, Albrecht Friedrich, stehet als Archivregistrator zu Gotha in Diensten, der zweyte August Heinrich, ist Kammerregistrator, wie auch Kammer- und Tranksteuereinnehmer in Altenburg, und hat sich an Jgfr. Christianen Henrietten Langin, Hr. Christian Langens, Königl. Polnischen und Churfürstl. Sächsischen Oberhofgerichts Anwalds [sic!] in Leipzig, einzige Tochter vereheliget. Der dritte Wilhelm Friedrich, ist Candidat des heil. Predigtamtes zu Gotha, der vierte Heinrich Gottfried, begleitet [sic!] die Stelle eines Kammercanzelistens zum Friedenstein, der fünfte Christian Friedrich soll zu Leipzig der Rechtsgelehrsamkeit obliegen. Der sechst Johann Ludewig, und die Tochter Sophia Johanna Elisabetha sind noch zu Hause. Die Besoldung des seel. Hr. Stölzeln hat sich zu Gotha jährlich überhaupt auf siebenhundert Kaysergulden erstrecket, und den Rang hatte er mit den Fürstl. Secretariis. Seine Umstände in der Societät der musikalischen Wissenschaften betreffend, trat er in solche im Jahr 1739, und gab Rath und That wie die musikalischen Wissenschaften in Deutschland in Aufnahme zu bringen. Er hat auch selbsten mit Fleis als ein Mitglied der Societät einen Tractat von Recitativen aufgesetzet, welcher von der musikalischen Societät wird ins reine und bekannt gemacht werden, so bald er von den Erben ausgeliefert worden. Er hat auch zu dem Jahrgang der Societ. ein schönes Kirchenstück gesetzt. Zwey Jahr für
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seinem Tode war er beständig kränklich, und sonderlich im Haupte schwach, und er verstarb nach einem sechstägigen Krankenlager den 27. Novemb. des 1749 Jahrs, nachdem er sein Leben nicht völlig auf 60 Jahr gebracht. Deutschland hat an diesen geschickten und würklich grosen Capellmeister viel verlohren, und es wäre zu wünschen, daß es viele Stölzel in solchem geben möchte. Sein Nahme wird dahero nicht nur bey der Societät, sondern allen wahren Tonkünstlern iederzeit Verehrungswürdig seyn und bleiben. Das Trauergedicht, welches D. Lorenz Mizler auf ihn im Nahmen der Societät der musikalischen Wissenschafften verfertiget, lautet also:
Trauergedicht auf das seel. Absterbendes wohlverdienten Capellmeisters zu Go- tha Gottfried, Heinrich Stölzels.
Das Chor.Klagt ihr Musen, weint in Tönen, Singt das beste Trauerleid. Sucht den Ausdruck in dem Schönen, So die Herzen nach sich zieht. Flöten, Harpfen, Stahl und Saiten, Ihr könnt euch nun wohl bereiten: Bringt den Ton aufs beste an. Auf daß eu’r gedämpftes Klingen Einen Stölzel wohl besingen Nach der Kunst betrauren kann.
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Recitativ.Der grose Stölzel ist erblaßt, Den Deutschland ungemein verehrte, Der die Musik so glücklich anderen lehrte: Du Gotha, weist es wohl, was du verlohren hast. Was man in Deutschland gutes findet Was schön und rein die Töne bindet Was zur Entzückung führt, Und nach dem Text die Herzen rührt Was Anmuth und die Kunst in der Musik nur wissen Das ist auf einmal uns durch Stölzeln nun entrissen. Er eilt aus diesem Jammerthal Mit Freuden zu dem Himmelssaal. Da singt er nun ganz andre Lieder Sein Geist ist fort, er kommt nicht wieder.
Die Musikverständigen.Arioso mit zwey Stimmen: Laßt uns schmerzlich klagen, Und der Nachwelt sagen, Wie die Wunde uns verletzt. Laßt uns herzlich trauren Und den Fall bedauren Der uns in Betrübnis setzt.
Die Mitglieder der musicalischen Societät. Aria. Weint ihr Brüder! Klagt ihr Glieder! Ihr habt recht zu Weh und Ach. Stölzel hat sich aufgeschwungen Der so englisch hier gesungen Schickt ihm tausend Seufzer nach.
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Laßt die Thränen immer schiesen, Und in einen Bach ergiesen Er ist doch noch nicht beweint. Das was wir an ihm verlohren Wird gar selten hier gebohren Ob es gleich unglaublich scheint. Weint ihr Brüder! Klagt ihr Glieder! Ihr habt Recht zu Weh und Ach.
Die Stadt Gotha Recitativ. Wo ist denn unser Orpheus hin? Soll seine Leyer schweigen, Die unter hunderten kaum einer mag erreichen! Soll seine Poesie, von welcher er den Sinn Durch seine Melodie so trefflich ausgedrückt, Uns nun nicht mehr erbauen, reitzen, rühren! Ach nein! er ist von uns schon weg gerückt. GOtt wollte ihn zu höhern Chören führen. So ist es in der Welt Daß öfters bald das schönste fällt. Er war durch lange Zeiten Bey uns verdient, beliebt. Wir aber müssen leiden Und sind nach seinem Tod betrübt.
Arioso, mit zwey Stimmen. Ach möchte doch sein Kiel und Ton Uns lange noch belehren! Doch unser Stölzel eilt davon Um dort nun GOtt zu ehren,
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Die wahren Kenner der Tonkunst. Aria, mit zwey Stimmen. Wenn Phöbus und sein Chor in Boy und Flor verhüllt Um Stölzels Tod die Lufft mit Trauertönen füllt, Wie sollten wir nicht schrey’n und Trauerlieder singen Die aus beklemmter Brust betrübte Menschen zwingen. So reitzend war sein Ton und Kiel. Gebt ihm alle gute Nacht Laßt den sanften Schlaf ihn laben Er hat alles wohl vollbracht Was wir noch zu hoffen haben.
Das Chor. 1. Lernt ihr Menschen wohl bedenken Was doch unser Leben sey. Laßt uns doch zum Guten lenken, Herrsche Friede, Glaub und Treu. Von dem HErrn kommt alles Gut, Grose Gaben, Heldenmuth, Alle Künste, alles Wissen Dies legt alles ihm zu Füssen.
2. Eines ist doch nur das meiste Wornach man uns Menschen nennt. Nämlich: GOtt und Menschen leiste Das was die Vernunft erkennt. Alle Wissenschafft und Kunst Ist nur ohne dies ein Dunst. Dieses wünschet man euch allen GOtt und Menschen zu gefallen.
Stoelzel (Gottfried Heinrich) Hochfürstl. Sachsen-Gothaischer Kapellmeister, war geb. zu Grünstädt im Chursächsch. Erzgebirge am 13ten Jan. 1690. Sein Vater, Organist desselben Orts, lebte mehr vom Bergbau, als von seinem Organistendienste; doch liebte er die Musik so sehr, daß er seinen Sohn mit allem Fleiße im Singen und Klavierspielen unterrichtete. Im dreyzehnten Jahres seines Alters ward der junge Stölzel auf das Lycäum nach Schneeberg geschickt, und dem dasigen Cantor Umlauft, einem Schüler des berühmten Kuhnau, zum Unterricht in der Musik ins Haus gegeben. Von diesem redlichen Manne lernte er nicht nur den Generalbaß mit Fertigkeit spielen, sondern auch eins und das andere vom reinen Satze einsehen. Nach etlichen Jahren kam er auf das Gymnasium nach Gera, und hier klang die Musik schon etwas anders, als in Schneeberg, weil der Gräfliche Hof daselbst eine ganz artige Kapelle hielt, deren Direktor der nicht ungeschickte Emanuel Kegel war. Stölzel fieng [sic!] hier an, nach den Sätzen dieses Mannes, und nach dem mancherley Guten, was er da hörte, seinen Geschmack zu bilden; worin es ihm auch so glückte, daß er nicht allein im Gymnasio, sondern auch am Gräflichen Hofe selbst, öftere Musiken aufzuführen, Gelegenheit bekam. So viel Beyfall und Ermunterung ihm dies von einer Seite zuzog, eben so viel Verdruß und Hinderniß erfuhr er von einer andern Seite, von gewissen Schulpräceptoren, welche die Musik als ein verächtliches Handwerk, als eine brodlose Kunst ansahen, und alles Heil und Glück auf den lateinischen Donat gründeten. Im Jahre 1707 bezog er die Akademie zu Leipzig, und sein musikalischer Sinn fand daselbst an Telemannischen und Hofmannischen Kompositionen wieder ein neues Vergnügen. Die Leipziger Opernbühne, welche um diese Zeit, nach dem Tode des Kapellmeisters Strunck, aufs neue eröfnet [sic!] wurde, war eine sehr gute Gelegenheit für ihn, nicht allein die Arbeiten der beyden vorhergenannten Männer, sondern auch anderer deutschen Komponisten, sehr gut aufgeführt zu hören. Hofmann, der damals Musikdirektor an der neuen Kirche war, erwies sich besonders freundschaftlich gegen ihn, in indem [sic!] er ihn nicht allein zu verschiedenen Ausarbeitungen ermunterte, sondern sie auch in der neuen Kirche, anfänglich unter seinem eigenen Namen aufführte, bis es Stölzel wagen durfte, selbst hervorzutreten. Nachdem er sich in Leipzig beynahe drey Jahre aufgehalten hatte, gieng er nach Schlesien, und brachte über zwey Jahre in Breslau zu, wo er in den vornehmsten adelichen Häusern im Singen und Klavierspielen Unterricht gab. Unter vielen Ouverturen, Konzerten und andern musikalischen Stücken, die er in dem dasigen musikalischen Kollegio aufführete komponierte er auch eine Serenate auf die Krönung Kaiser Karls VI. Von einem anderen dramatischen Stücke, Narcissus, das zu Ehren der Gräfin von Neidhardt aufgeführt wurde, waren Poesie und Musik sein Werk. Ein italiänischer Sprachmeister, welchen er in Breslau zum Freunde hatte, setzte ihm, durch die schmeichelhaften Erzählungen von den Annehmlichkeiten Italiens, die Gedanken in den Kopf, eine Reise dahin zu thun. Seine Musiklectionen in Breslau waren einträglich genug, um sich die nöthigen Reisekosten zu erwerben. Ehe er aber diese Reise selbst antrat, fand er für nöthig die Seinigen zu besuchen, und sich von ihnen zu beurlauben. Er reiste demnach vorher nach Sachsen, und hier wurde ihm unvermuthet, durch den Kapellmeister Theile, die Komposition einer Oper zur Naumburger Messe aufgetragen. Diese Oper hieß Valeria, und zog noch ein paar andere zur folgenden Messe, die Artemisia und den Orion nach sich. Poesie und Musik waren von Stölzels Arbeit. Er besuchte auch den Hof zu Gera; wo er ein Pastorale: Rosen und Dornen der Liebe, verfertigte, und nebst vielen andern Kirchen- und Tafelmusiken aufführte. Man bot ihm an diesem Hofe sowohl, als auch am Fürstl. Hofe zu Zeitz, die Stelle eines Kapellmei- \\ sters an. Allein die vorhabende Reise nach Italien machte, daß er dies doppelte Anerbieten ausschlug, welches ihm indeß doch einen ansehnlichen Zuwachs zu seinen Reisekosten zuwege brachte. Im Jahre 1713 trat er nun die Reise nach Italien an, über Hof-Bayreuth, Nürnberg und Augsburg, wo eben der Reichstag gehalten wurde, und er das Glück hatte, durch die Musik sich viele vornehme Gönner zu erwerben. Die in Böhmen, zu Wien und Regensburg wüthende Pest versperrte ihm, durch die zu haltende Quarantäne, auf einige Zeit den sehnlich gewünschten Eintritt in das lustige Italien. Er mußte, im Lazareth zu Pemolano, an der venezianischen Grenze, erst acht Tage allein, und hernach, da der von Berlin kommende Simonetti, bey seinem Eintritte ins Lazareth, ihm aus Spaß den Handschuh zugeworfen hatte, noch sieben Tage mit ihm aushalten. Von hieraus begab er sich zuerst nach Venedig, und fand daselbst den nachherigen Kapellmeister Heinichen, dessen Umgang er sich sehr zu nutze machte. Er besuchte in dessen Gesellschaft, die venezianischen Conservatorien, deren Musikanstalten so vortreflich sind, daß sie den anderen Kirchen- und Theatermusiken nicht selten den Vorzug streitig machen. Gasparini, Vivaldi, Antonio Polaroli, Ant. Biffi und il Cavaliere Vinacerci waren die Aufseher und Lehrer der vier Musikschulen, und Stölzel hatte das Glück mit ihnen bekannt zu werden. Der berühmte Benedetto Marcelli verschafte [sic!] ihm auch Gelegenheit, der Musik der Nobili in dem Pallaste alli fondamenti nuovi beyzuwohnen. Von hier gieng er nach Florenz, wo er im Pallaste des Herzogs Salviati, mit dem Herrn Ludewig aus Berlin, und seiner Frau Sigra Maddalena aus Venedig, einer großen Lautenspielerin bekannt wurde. Der Herzog Salviati machte ihn auch mit der Prinzessin Eleonora da Guastalla bekannt, welche ebenfalls sehr geschickt auf der Laute war. Ueberhaupt wiederfuhr [sic!] ihm von diesen beyden Durchl. Personen viele Ehre; er wurde, durch ihre Vermittlung, nicht allein mit allen Virtuosen in Florenz bekannt, sondern auch in allem frey gehalten. Er hätte an diesem Orte sein Glück, ohne Schwierigkeiten, finden können, wenn ihm nicht die Verschiedenheit der Religion Hinderniße in den Weg gelegt hätte. Im September trat er die Reise nach Rom an, wo er mit dem berühmten Buononcini und Aless. Scarlatti Bekanntschaft machte. Gegho war daselbst einer der besten Sänger. Er hielt sich daselbst nur einen Monat auf, und kehrte wiederum nach Florenz zurück, wo er noch einige Opern von Gasparini, Orlandini und andern Meistern mit Vergnügen hörte. Und als sich daselbst Simonetti wieder bey ihm einfand, trat er in dessen Gesellschaft die Rückreise aus Italien an, über Bologna, Venedig, Trient und Inspruck, wo er die Kapelle des Prinzen Karl Philipps von der Pfalz fand. Er hielt sich daselbst in dem Hause des Kapellmeisters Wieland, eine geraume Zeit auf, und sahe daselbst täglich die Kapelle versammelt. Von Inspruck gieng die Reise über Linz und Prag, wo er sich drey volle Jahre aufhielt, indem er in dem Herrn von Adlersfeld, dem Grafen Logi, und dem Baron von Hartig, große Musikliebhaber fand. Hier verfertigte er verschiedene dramatische Stücke, sowohl der Poesie als der Komposition nach. Die vornehmsten sind: Venus und Adonis; Acis und Galathea; das durch die Liebe besiegte Glück. Dazu kamen noch etliche deutsche, lateinische und italiänische Oratorien: Maria Magdalena; Jesus patiens; Caino, overo il primo figlio malvaggio; ingleichen einige Missen, und verschiedene Instrumentalsachen. Einige Vornehme beredeten ihn, seine Kompositionen öffentlich aufzuführen, und Billette für Geld auszugeben, welcher Vorschlag auch recht gut von Statten gieng, so daß ihm eine Menge von Virtuosen und Musikern zulief, weil er im Stande war, sie reichlich zu belohnen. Er bekam um diese Zeit einen Ruf nach Dresden, und man versicherte ihn, daß der König von Pohlen entschlossen wäre, ihn noch eine Reise nach Frankreich thun zu lassen; es kamen aber Umstände dazwischen, die \\ ihn abhielten, nach Dresden zu gehen. Das zweyte lutherische Jubelfest rufte ihn von Prag nach Bayreuth, um die solennen Musiken zu diesem Feste zu verfertigen. Ein Paar Serenaden auf den Geburtstag des Markgrafen und eine Oper Diamedes [sic!] wurden eben daselbst vollendet und aufgeführt. Im Jahre 1719 trat er in die Dienste des Gräflichen Hofes zu Gera. Und ob er gleich nur ein halbes Jahr daselbst verbleib, so hatte er doch in dieser kurzen Zeit viele Kompositionen verfertiget. Er bot darauf dem hiesigen Hofe seine Dienste an. Zum Unglück hatte sich Freislich der hernachmals als Kapellmeister in Danzig starb, vorher schon durch verschiedene gefällige Kompositionen und durch sein Betragen, die Gunst der vornehmsten Liebhaber des hiesigen Hofs zu erhalten gewußt. Stölzel fand als ein Unbekannter wenig Unterstützung. Freislichs Gönner brachten es bey dem Fürsten dahin, daß selbiger zum Kapellmeister ernannt wurde. Sobald Stölzel keine Hoffnung mehr vor sich sah, gieng er noch im selbigen Jahre nach Gotha, und wurde daselbst sogleich zum Kapellmeister ernannt. Kaum aber hatte ihn unser Fürst aus seinen Kompositionen näher kennengelernt, als er es sehr bereute, ihn nicht in Dienste genommen zu haben, und er hielt sich in Ermangelung seiner in der Folge dadurch schadlos, daß er ihn außer zwey vollständigen Doppeljahrgängen, Paßionen und Tedeums für die Kirche, die mehresten solennen Gelegenheitsmusiken verfertigen lies. Stölzel lebte unterdessen glücklich und zufrieden in die 30 Jahre, bis an sein Ende in Gotha, und so viel er auch bisher geschrieben hatte, so übertraf doch die Menge desjenigen, was er hier verfertigte, das Vorige unendlich weit. Man rechnet acht Doppeljahrgänge, wo zu jedem Sonn- und Feyertage zwey Stücke gehören, und wo von einigen auch selbst die Poesie von ihm ist. Auch gehöret vermuthlich der merkwürdige Jahrgang darunter, welchen er selbst als die Ursache angegeben hat, daß zuletzt sein Verstand litt. Ferner zählt man vierzehn Paßionen- und Weihnachtsmusiken; Vierzehn Operetten; Sechzehn Serenaden; über achtzig Tafelmusiken: fast eben so viele Kirchenstücke zu herrschaftlichen Geburtstagen, zu Landtagen u.s.w. ohne der Menge von Missen, Ouverturen, Sinfonien und Concerten zu gedenken, die öfters heute gehört und morgen vergessen worden, und doch den Komponisten Arbeit genug gekostet haben. Es herrscht in seinen Kompositionen ein überaus leichter, und nach damaliger Art angenehmer Gesang; die Instrumentalbegleitung ist nichts weniger als überhäuft. Durch einen ganzen Doppeljahrgang vom Jahre 1736, den ich kenne, bestehet die Begleitung der Arien außer dem Basse, größtentheils blos in 2 Violinen. Und auch diese schweigen öfters, und fallen sie denn ein, so nehmen sie im Einklange ihren eignen Gang, der entweder eine zum Ausdrucke des Textes festgesetzte Figur enthält, oder in beständigen Rückungen und Nachahmungen der Singstimme folgt, auch dann und wann vorgehet, fast auf Händels Manier. Es war damals in Mode, ganze Arien nur von einer einzigen Violine oder Hoboe begleiten zu lassen, und Stölzel schein dieser Mode sehr gewogen gewesen zu seyn. Außer diesen Trios kenne ich aber auch mehrere vortreffliche Quatros, wo eine Violin und eine Hoboe mit dem Soprane conzertiren. Und dann ist zu bewundern, wie leicht und ohne allen Zwang er sich jeder contrapunctischen Künsteley und Versetzung zu bedienen weiß; wie jede dieser drey Stimmen beständig dem Thema getreu, so ganz gleichsam für sich, ihren schönen Gesang fortführen, und dennoch zusammengenommen, die angenehmsten, auch öfters die frappantesten Concente hervorbringen. Freylich geht in diesem Fall der arme Sänger mit seinem Texte gänzlich verlohren. Er wird zum conzertierenden Instrumente, welches eben so oft die übrigen begleitet, als es von ihnen begleitet wird. Wer die vor ohngefähr etliche zwanzig Jahren gedruckten Quatros von Jänisch kennt, kann sich einen deutlichen Beweis von diesen Arien machen. \\ Eine seiner schönsten Seiten als Komponist, machen noch gegenwärtig seine Recitative aus. Nie habe ich eine leichtere und fließendere Stimmführung für den Sänger, bey der gewissenhaftesten Beobachtung aller Redetheile, in den Recitativen eines Komponisten gefunden! Wie hart fallen diese nicht manchmal in den Werken des großen Homilius aus? Auch Graun und Rolle sind nicht ganz frey von dieser Beschuldigung. Nur Hassen möchte ich diejenigen Vorzüge im italiänischen Recitative einräumen, welche Stölzel im Deutschen besitzt. Und dennoch ist bey allem diesem fliessenden Gesange, die Modulation seiner Grundharmonie, nichts weniger als einförmig. Sie wechselt unaufhörlich, doch ohne jemals bizarr zu werden, Hieraus läßt sich der Verlust berechnen, den die musikalische Welt dadurch erlitten hat, daß die Herausgabe seiner im Jahre 1739 für die Societät der musikalischen Wissenschaften aufgesetzte Abhandlung vom Recitative, nicht zu Stande gekommen ist. Sie war so wenig unbeträchtlich, daß sie im MS. 40 Bogen enthielt. Der Inhalt derselben war folgender:
Vorbericht, vom Stilo recitativo insgemein. Erster Theil, von der Rhythmopoeia stili Recitativi. Kap. 1. von den zum Recitativo bequemsten Versen. 2. von den musikalischen pedibus rhythmicis im Recitativo. 3. von der Vermischung der dreyerley pedum rhythmicorum im Recitativ. 4. von der ordentlichen Connexion solcher pedum ryhthmicorum.
Zweyter Theil, von der Melopoeia stili Recitativi. Kap. 1. von der Erhöh- und Erniedrigung der Stimme bey der recitativischen Singart. 2. wie die recitativische Singart eines ganzen Periodi einzurichten. 3. von etlichen Freyheiten des stili recitativi. \\ Kap. 4. vom accompagnirten und vollstimmigen Recitativo. 5. von dem Amte des Recitanten. Auf Herrn Marpurgs Veranlassung erbot sich Albrecht in Mühlhausen um 1762, selbige in Druck zu geben. Aber vermuthlich hat ihn der Tod an der Ausführung gehindert. So durchsichtig und leicht er die Harmonie seiner Arien bearbeitet, so voll behandelt er sie in seinen Chören. Und gewöhnlich übersteigt noch außerdem die erste Violin den Sopran, indem sie den Alt in der Oberoctave führt. Die Mannigfaltigkeit in Ansehung der Einrichtung seiner Chöre, ist beynahe unendlich. Neuere Komponisten haben vieles genutzt, was Stölzel vor ihnen that. Aber Stölzel hat noch vieles gethan, was ich in keinem neuern Werke gefunden habe. Sein Witz, in dem musikalischen Ausdrucke seines Textes, ist unerschöpflich. Und öfters ist selbiger sehr glücklich angebracht, sowohl in den Arien als Chören. Auch wie mächtig er der gebundenen Schreibart gewesen sey, kann man aus diesem Jahrgange sehen, wo jedes Chor mit einer Fuge schließt. Diese bestehen zwar, wegen der vorgeschriebenen kurzen Zeit, außer einem Stücke, welches eine reine achtstimmige Doppelfuge enthält, nur aus wenigen Durchführungen eines kurzen Thema. Aber doch kann man schon den Löwen an den Klauen erkennen. Und wer ihn ganz sehen will, der bemühe sich sein Kyrie und Gloria für dreyzehn reelle Stimmen, nämlich acht Sing- und fünf Instrumentalstimmen, und sein deutsches Te Deum mit etlichen fleißig gearbeiteten Fugen, zu erhalten. Auch beweißt [sic!] sein Traktat, das einzige Werk, so von ihm gedruckt ist, wie mächtig er [in] dem Contrapunkt war, aber auch auf der andern Seite, wie wenigen Werth er auf alle diese Notenkünsteleyen setzte. Er lies, ohne ein Exemplar davon in die Buchläden kommen zu lassen, 1725 auf drey Bogen in 4. hundert Exemplare unter dem Titel: Praktischer Beweis, wie aus einem, nach dem wahren Fundamente solcher Notenkünste- \\ leyen gesetzten Canone perpetuo in hypo-diapente quatuor vocum, viel und mancherley, theils an Melodie, theils auch an Harmonie unterschieden Canones perpetui zu machen seyn, von G. H. S. Zwey Jahre vor seinem Tode war er beständig kränklich, und im Haupte schwach, ja öfters noch mehr als dies. Zur Ursache dieses Zufalls hat er bey heitern Stunden, seinen Freunden mehrmals, einen seiner letztern Kirchenjahrgänge angegeben. In welchem nicht allein die Chöre, sondern auch durch alle Stücke, die Recitative und Arien von allen vier Stimmen zugleich, mit Begleitung der Instrumente, gesungen werden. Er starb endlich, nach einem sechstägigen Lager, den 27ten November 1749 noch nicht völlig 60 Jahr alt. Die wenigen Zusätze zu diesem, aus Herrn Hillers vortreflichen Biographien gezogenen Artikel, so wie dessen Weitläufigkeit, glaube ich diesem großen Manne, der aber noch lange so bekannt nicht ist, als er verdient, schuldig zu seyn.
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