Die Sammlung von Roemhildt – Kantaten in Mücheln bei Merseburg

Von Klaus Langrock, überarbeitet am 17. 11. 2006

Um das Jahr 1900 zählten 44 Kantaten zum Müchelner Bestand an Kirchenstücken Roemhildts. (Ein weiteres Werk wurde unter Roemhildts Namen geführt, es entstand aber erst nach dessen Tod). 

Karl Paulke verdanken wir eine (vollständig in unsere Sammlung übernommene) Abschrift der Kantatentexte. Auf dieser beruhen weitgehend die hier vorgestellten Überlegungen.

Er teilt zunächst die kompletten –soweit ihm leserlichen – Texte, Tempo- und Taktangaben, Tonart und Besetzung sowie die de tempore-Bezeichnungen mit. 

Ergänzend nennt Paulke die Fundstellen der Dicta (die wenigen unrichtigen Angaben sind in unserer Textsammlung korrigiert worden) sowie die Melodien einiger Schlusschoräle. Auf jeder Seite seines Manuskripts finden sich mehrere zweistimmige Incipits. Sehr häufig merkt er durch Hervorhebungen im fortlaufenden Text und zugehörige Randbemerkungen an „sehr schöne Malerei“ oder „originelle Schilderung“; auch konkrete Hinweise auf Canon-Technik oder fugierte Satzteile finden sich.

Für die Rezeptionsgeschichte wichtig sind ebenfalls die von den Titelblättern übernommenen Jahreszahlen, die offensichtlich weitere Aufführungen anzeigen. Aus diesen Angaben lässt sich ablesen, dass noch 1797, also mehr als 40 Jahre nach dem Tod des Komponisten, zumindest eine Kantate,  RoemV 105, zum Repertoire gehörte. Ob diese Wiederaufnahme für die Wertschätzung des Komponisten spricht oder nur aus praktischen Erwägungen stattfand, kann hier nicht entschieden werden.

Durch Handschriftenvergleich gewann Paulke die Erkenntnis, dass 37 der 44 „echten“ Kantaten Roemhildts in Mücheln Autographe sind.

Als weiteren Punkt teilt Paulke mit, daß auf einigen Stimmen und Partituren sich der Vermerk

„poss. [aus dem Besitz von] J. C. Zeitheim, Rektor“ oder auch nur dessen Monogramm JCZR befindet. Sicher wurde RoemV 229 zur Vermählung Zeitheims 1747 geschrieben, also vermutlich auch von diesem in Auftrag gegeben (und bezahlt?). Ob er auch die weiteren Stücke bestellte, erwarb, sammelte oder nur kopierte lässt sich aufgrund des vorhandenen Materials nicht erkennen. Ein Aspekt, der im Zusammenhang damit noch ungeklärt ist, betrifft die Tatsache, dass überhaupt „Kantaten“ des Domkapellmeisters der Residenzstadt als Autographe in den Nachbarort gelangten. Roemhildt wirkte ab 1731 [vielleicht auch erst ab 1732 (siehe Datum auf RoemV 35: Spremberg, den 1. Dezember 1731)] in Merseburg. Die früheste Aufführung einer seiner Kompositionen in Mücheln ist für 1736 verzeichnet. Neben der Hochzeitskantate RoemV 229 sind zwei Kantaten zum Jahrestag des Augsburger Religionsfriedens (RoemV 138, RoemV 139) für Mücheln entstanden, denn in beiden wird der Ortsname im Text erwähnt. Es könnte sich allerdings auch um Parodien handeln (immerhin war Roemhildt im September 1755 bereits 71 Jahre alt), doch sind etwaige Vorlagen noch nicht ermittelt. Das Vorhandensein von zwei Kantaten für denselben Tag führt zu der Frage, ob – wie aus der Zeit bekannt -  zwei Kantaten in einem Gottesdienst (vor und nach der Predigt) aufgeführt wurden, oder ob die Gemeinde in Mücheln diesen Gedenktag mit zwei Gottesdiensten feierte.

Aus den Angaben zu Besetzung in Verbindung mit den Gattungsangaben lassen sich Erkenntnisse über den Gebrauch des heute üblichen Begriffes Kantate gewinnen: von den 44 Partituren sind 28 als Concerto überschrieben und nur vier tragen die Gattungsbezeichnung Cantata. Diese vier (alle vermutlich Autographe) sind jeweils für nur eine Solostimme und die minimale Instrumentalbesetzung (2 Violinen, Viola, Continuo) ohne Bläser geschrieben. In dem Verzeichnis Bibliothek der alten Musikalien (vermutlich um 1900) der Müchelner Kirchengemeinde wurden weitere Gattungsangaben in den Schreibweisen Konzerto und Kantate hinzugefügt. Interessanterweise entspricht diese Zuweisung bis auf einen Fall (Mücheln Nr. 2, RoemV 102) obigen Kriterien.

Ob hier eine Tradition, die die generelle Kennzeichnung aller Kirchenstücke mit Gesang als Kantate unbeschadet überstanden hat, gepflegt wurde, oder ob diese Angaben unreflektiert aus älterer Zeit übernommen wurden, kann nur durch weitere Forschungen ergründet werden.

In nachstehender Tabelle sind die Werke Roemhildts aus Mücheln mit Angabe der dortigen Nummerierung und der Nummer aus dem Werkverzeichnis nach dem Kirchenjahr geordnet. Das „A“ in der ersten Spalte steht für Autograph. (Um die Tabelle zu durchsuchen nutzen Sie am Besten die Suchfunktion Ihres Browsers [meist Ctrl + F]).

 

 

RoemV

 

Jahreszahlen

A?

14

141

1. Advent

1736

A

29

109

1. Advent

1740, 1754, 1770, 1773, 1779, 1784

A

11

140

1. Advent

1752, 1755 1762, 1768, 1774, 1789

A

44

147

2. Weihnachtstag

1756, 1758, 1764, 1767, 1778, 1780, 1786

A

35

110

3. Weihnachtstag

1740

A

16

231

3. Weihnachtstag

1753, 1772, 1776

A

3

149

Neujahr

1780

A

19

150

Sonntag nach Neujahr

1774

A

40

98

Sexagesimae

1740

A

20

157

Sexagesimae

1772, 1778

A

43

116

Sexagesimae

1744

A

32

158

Sexagesimae

 

A

6

159

Estomihi

 

A?

21

99

Reminiscere

1740

A

12

161

Reminiscere

1771

A?

31

100

1. Ostertag

1740

A

41

101

3. Ostertag

1740

A

51

170

Jubilate

1756, 1759, 1783

A

2

102

Cantate

1740, 1750, 1782

A

7

172

Exaudi

1774

A

22

103

Exaudi

 

A

39

104

Trinitatis

1740

A

26

105

5. Sonntag nach Trinitatis

1740, 1723, 1797

A

13

179

5. Sonntag nach Trinitatis

1771, 1789

--

30

178

5. Sonntag nach Trinitatis

1775

A

18

182

8. Sonntag nach Trinitatis

1753, 1757, 1763

A

27

183

8. Sonntag nach Trinitatis

1766, 1774

A

25

106

11. Sonntag nach Trinitatis

1740, 1775

A

23

108

15. Sonntag nach Trinitatis

1740, 1763, 1769

A

17

193

15. Sonntag nach Trinitatis

 

A

5

194

15. Sonntag nach Trinitatis

 

A

28

197

16. Sonntag nach Trinitatis

1782

A

24

198

17. Sonntag nach Trinitatis

 

A

15

200

17. Sonntag nach Trinitatis

1783

A

42

208

21. Sonntag nach Trinitatis

 

A

34

107

24. Sonntag nach Trinitatis

1740

A

33

216

25. Sonntag nach Trinitatis

 

A?

4

219

26. Sonntag nach Trinitatis

 

A

10

226

Johannisfest

1751, 1754, 1758, 1768, 1770, 1775

A

37

232

Erntedankfest

 

A

1

230

Hochzeitskantate

 

A

38

229

Hochzeitskantate

1747

A?

8

138

Zum Religionsfrieden

1755, 25. September

A

9

139

Zum Religionsfrieden

1755, 25. September

 

 

 

Gegenüber Sammlungen von Roemhildt-Kantaten an anderen Orten sind hier einige Fakten feststellbar, die zum einen auf die „gefestigtere“ Form der protestantischen Kirchenkantate, zum anderen sicher auch auf regionale Traditionen und zum dritten auf dem mittlerweile gewandelten Geschmack zurückzuführen sind.

So enthalten 22 der vorliegenden 80 Arien die Angabe con affetto, ebenso ein Chorsatz. Mehr als die Hälfte aller Sinfoniae, Chöre und Arien tragen Tempo-Angaben, von Adagio bis presto.

In Mücheln enthält jede Kantate mindestens ein Rezitativ, unter den insgesamt 57 Rezitativen befinden sich nur fünf Accompagnati.

35 Kantaten beginnen mit einem Chor, von diesen Eingangschören sind 27 über ein Dictum, bei der Solokantate RoemV 182 ist das Dictum in der ersten Arie vertont. 32 Kantaten weisen einen Schlusschoral auf, in einem Fall (RoemV 170) ist dieser als Arioso bezeichnet, und bei der Kantate RoemV 139 ist in der Partitur Sopran solo ausgewiesen. In vier Fällen sind mehrere Liedstrophen angegeben.

Drei Kantaten weisen einen Instrumentalsatz als Einleitung auf (RoemV 226 - Sonata, RoemV 229 - Introduktio und RoemV 232-Sonatina) 

In der Anordnung der „Stücke“, aus denen die Kantaten dieser Sammlung bestehen, zeigen sich 2 Haupttypen: von den 44 Werken folgen 9, darunter alle „Cantaten“, der einfachsten Form Arie – Rezitativ – Arie, und mit Beteiligung eines Chores weisen 14 den formalen Aufbau Chor – Arie – Rezitativ – Arie – Choral auf; weitere 9 Möglichkeiten sind vorhanden, davon vier nur je einmal (RoemV 109, 226, 227, 232). Damit lässt sich nicht entscheiden, ob diese Kantaten bestimmten „Jahrgängen“ zuzuordnen sind oder ob es sich um ein eher zufällig entstandenes Konglomerat handelt. Ob der Sprachgebrauch Rückschlüsse auf bestimmte Textdichter  zulässt, muss Gegenstand einer Untersuchung von Theologen oder Germanisten sein.

Auffallend ist aber die Verwendung von Überschriften in den Kantaten RoemV 116, 183, 193, 198, 208 und 231. Diese enthalten allesamt einen zweiten Chor, in welchem ein weiteres Dictum vertont ist.. Auch ihr Aufbau ist in der Hauptsache gleich, deshalb erscheint die Zugehörigkeit zu einem Zyklus wahrscheinlich. Die Kantate RoemV 205, die Paulke in Verbindung mit diesen Kantaten nennt, enthält allerdings im zweiten Chorsatz kein Dictum, die zweiteilige Überschrift läßt aber dennoch die  Zugehörigkeit zu der genannten Gruppe als naheliegend erscheinen.

Eine weitgehende Klärung dieser Fragen lässt sich vermutlich aus dem Notenmaterial gewinnen. Bei einer sehr kurzen Einsichtnahme ließ sich feststellen, dass das Material noch nahezu vollständig vorhanden ist, Fragen der Aufführungspraxis werden anhand der genauen Stimmenbeschreibung (Chorton in den Stimmen, Bezifferung beim „Fondamentum“, Continuo-Instrumente u.ä.) beantwortet werden können. 

 

 

 

 

 

 

 

 

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